Montag, 19. September 2011

"Das geht nicht!" - Aber doch!

Heute morgen durfte ich eine allzugut bekannte aber doch fast vergessene Erfahrung mit der Kleinbürgerlichkeit mancher Leute machen, die es in China nicht gibt: "Das geht nicht!"

Ich brachte Junior zur Schule und stellte dazu das Auto hinter dem Schulgebäude auf einen Parkplatz, an dem ein Schild hing mit der Aufschrift "Hort". Gut, dachte ich, der Hort macht ja erst um elf auf, es sollte also kein Problem sein, Junior kurz zur Tür zu bringen, die etwa 30m entfernt vom Parkplatz liegt.

Aber während ich noch aussteige und ums Auto gehe, um Junior beim Aussteigen zu helfen, geht schon ein Fenster auf und eine Frau meint zu mir: "Sie, da können Sie aber nicht stehen bleiben, da steht Hort! Das geht nicht!" Ich antwortete, daß ich Junior ja nur kurz zur Tür bringe und in einer Minute wieder hier bin und der Hort doch erst um elf aufmacht. Da war sie sehr aufgeregt und meinte, aber ihre Kollegin komme doch gleich und wieder "das geht nicht!"

Nun, es ging doch, das Auto blieb stehen und ich habe ohne lange zu fackeln Junior zur Tür gebracht und verabschiedet, während die Dame wohl etwas frustriert zurückblieb. Als ich zurück zum Auto kam, sah ich, wie sie gerade telefonierte und sichtlich erregt gestikulierte. Ich machte ihr Zeichen, daß ich mit ihr reden wollte, also kam sie etwas widerwillig noch mal zum Fenster und sagte noch einmal ihr Sprüchlein auf mit "das geht nicht!".

Ich zeigte Verständnis für ihre Situation und sie erwähnte noch, daß sie jeden Morgen diskutieren müsse und daß sie ja jetzt offensichtlich schon da sei, auch wenn der Hort erst um elf aufmacht, und - genau - "das geht nicht!" Ich besänftigte sie dann ein wenig, ging auf sie ein und meinte, daß ich ja jetzt Bescheid wüßte und daß das nicht mehr vorkomme. Sie meinte dann nur noch "ja gut!", offenbar hatte sie nicht damit gerechnet.

Als ich dann wieder einstieg und wegfuhr dachte ich so bei mir, wie ich wohl früher reagiert hätte, wäre ich wieder eingestiegen und hätte umgeparkt? Hätte ich mich geärgert oder womöglich noch ein schlechtes Gewissen gehabt? Na, letzteres wohl eher nicht, aber ich hätte mich geärgert, ganz sicher.

Heute denke ich mir nur, arme Frau, wenn sie ihre morgendliche Pflichterfüllung in der vehementen Verteidigung eines Parkplatzes für ihre Kollegin sieht, dann tut sie mir nur leid. Ich kann verstehen, daß es sie ärgert, wenn es Leute gibt, die dort parken, wo doch extra ein Schild dran steht, aber wenn das ihre Welt ist....

An solchen Situationen merke ich, wie ich mich in den letzten drei Jahren verändert habe. Früher hätte ich mich geärgert über diese Kleinbürgerlichkeit, hätte mir so etwas den Tag versauen können, heute lächle ich darüber, weiß ich doch, daß sie es nicht anders kennt und nicht anders kann.

Ich gehe viel gelassener mit solchen Konflikt-Situationen um, nehme einfach den anderen den Wind aus den Segeln oder sage mir, ey, ich habe drei Jahre China überlebt, da kann mich doch so eine Kleinigkeit nicht schocken und mich schon gar nicht aufregen!

Ich habe in den letzten drei Jahren gemerkt, ich habe nur ein Leben, mein Leben, beschränkte Zeit, wozu soll ich mir das von anderen Leuten bestimmen lassen? Ich lasse mir keine Vorschriften mehr machen, ich schränke mich nicht mehr unnötig für andere ein, ich lebe so, wie es mir gut tut, psychisch wie physisch.

Bei Juniors Einschulung letzte Woche habe ich in der Aula der Schule Sprüche von älteren Schülern auf Bildern an der Wand gelesen zum Thema, was ihnen wichtig ist. Ein Spruch davon war altbekannt, den haben wir schon in jungen Jahren in Poesie-Alben und Hefte geschrieben, ohne zu wissen, was er eigentlich bedeutet: Träume nicht Dein Leben, sondern lebe Deinen Traum!

Es geht nicht um Träume, es geht darum, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, sich nicht fremdbestimmen zu lassen, und genau das habe ich gelernt. Ich bin meines eigenen Glückes Schmied, wenn ich mein Leben selbst gestalte, bin ich zufrieden und glücklich, ich sage selbst, wo es langgeht, nicht andere, und das ist gut so.

In diesem Sinne, auf ans Werk! Carpe diem!